Impuls in besonderen Zeiten – Nr. 46
Der Weg
Liebe Brüder und Schwestern,
im Gästezimmer meiner Großeltern hing das Stickbild: „Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn.“ Dass meine Großeltern Gott etwas befehlen wollten, konnte ich mir gar nicht vorstellen.
Heute weiß ich, dass „befehlen“ im Alt- und Mittelhochdeutschen u.a. „anvertrauen“ bedeutet. Nur im religiösen Bereich wird „befehlen“ in diesem „vertraulichen“ Sinn heute noch gebraucht. Und so erhellt sich auch die Bedeutung eines zentralen Satzes beim Abschied Jesu von seinen Jüngern: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
Hölderlin schrieb an seinen Freund Landauer „Komm, ins Offene! Freund….“.
Im Nachlass meines Großvaters fand ich das Neukirchener Kalenderblatt mit einem Spruch von Siegfried Goes: „In unser armes Leben, das wir so oft verachtet, hast du dich ganz gegeben und hast es wert gemacht.“ Und umgekehrt kann ich mich in das Evangelium begeben, in das von den Evangelisten überlieferte Wort Gottes und eine geoffenbarte Wahrheit, die sehr schüchtern ist, ja sich versteckt.
Die Lösung ist ja nicht, den Weg und das Leben Jesu wörtlich nachzuleben. Dann dürften ja nur Männer Christen sein. Sie müssten Schreiner werden und im Alter von 33 Jahren sich an ein Kreuz nageln lassen. So einfach ist das eben nicht, Gottseidank. Das ermutigt, stattdessen das Eigene, sich selbst Gott hinzuhalten: die eigenen Wege, die eigene Wahrheit und das eigene Leben.
„Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn“. Gesprächsstoff gibt’s genug, oder?
Liebe Grüße von Renate Gottschewski.