Impuls in besonderen Zeiten Nr. 80

Seelsorge

Liebe Brüder und Schwestern,

in der Antike verstanden die Denker unter Seelsorge vor allem die Selbstsorge – ein zentraler Aspekt der Seelsorge bis heute. Die Botschaft des Alten und Neuen Testaments richtet den Blick darüber hinaus auf den Nächsten und das uneigennützige Sorgen für diesen bis hin zur Aufforderung der Feindesliebe. Mit dem Aufstieg des Christentums verengte sich der Seelsorgebegriff wieder; diesmal auf das Wirken der Priester und deren sakramentale Handlungskompetenz. Erst zu Beginn der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts weitete sich die Berufung zur Seelsorge wieder auf alle Getauften aus. Dabei begreift Seelsorge den ganzen Menschen als Leib-Seele-Einheit, schließt also praktische Unterstützung ein.

Wie überall sind Vorbilder und somit das Selbsterleben hilfreicher Seelsorge entscheidende Voraussetzung dafür, den Segen dieses Handlungsfeldes zu erkennen. Und so wie gelernte Köche, Meisterköche und Laienköche gemeinsam die Essens- und Trinkkultur einer Region prägen, so gilt dies für jede Profession und jedes Laientum.

Kürzlich beim Klassentreffen stießen wir vor der Kulisse eines dramatischen Sonnenuntergangs an auf unseren Chemielehrer. Dieser hatte nur ein Bein, das zweite „blieb im Krieg“. Die letzten Klausuren vor dem Abitur: Er verließ nach dem Verteilen der Aufgaben den Raum mit den Worten: „Ihr seid zu alt, um beaufsichtigt zu werden. Entscheidet selbst, was richtig ist.“ Das war als überzeugter Katholik sein Seelsorgebeitrag der sehr speziellen Art – Prosit!

Ich kann und muss auf gewohnte kirchliche Angebote verzichten, weil die Transformationsprozesse erdrutschartig verlaufen. Die Seelsorge, dieser flotte Dreier zwischen Gott, Mensch und einem haupt- oder ehrenamtlichen Seelsorger, dürfte das einzige konkurrenzlose Angebot der Kirche in unserer Gesellschaft sein. Sie hat, so meine ich, mehr Aufmerksamkeit verdient, auch in der öffentlichen kirchlichen Diskussion über Themen wie Sexualität und Sterbehilfe.

Liebe Grüße von Renate Gottschewski