Impuls Nr. 85

Umgedreht...

Liebe Schwestern und Brüder,

vor zwei Wochen ging eine Nachricht durch die Presse, die mich zunächst einmal zum Schmunzeln brachte: Im Zuge einer Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, die Werke des niederländischen konstruktivistischen Künstlers Piet Mondrian unter dem Titel "Mondrian. Evolution" ausstellte, fiel der Kuratorin der Ausstellung mehr oder weniger durch Zufall (sie entdeckte eine 77 Jahre alte Fotografie des Bildes auf einer Staffelei) auf, dass ein Bild seit Jahren falsch herum hängt.

Nach dem Schmunzeln hat mich die Nachricht zum Nachdenken gebracht: Gibt es vielleicht auch andere Bilder, die falsch herum hängen? Nicht nur Kunstwerke, sondern vielleicht sogar innere Bilder? Innere Bilder, die schon seit sehr langem mein Inneres prägen und die an sich ja völlig richtig und schön sind, aber eben (aus welchem Zufall auch immer) falsch herum hängen. Hängen mein Weltbild, mein Glaube, meine Werte eigentlich richtig herum?

Vielleicht hat das sogar etwas mit dem Heiligen des heutigen Tages zu tun, dem Heiligen Martin von Tours. Martin ist nicht irgendein Heiliger, sondern für das Mittelalter der Heilige schlechthin. Seine Vita markiert für die Kirchengeschichte - für das Bild von einem Heiligen - eine ganz bedeutsame Zäsur: war vor ihm das Attribut der Heiligkeit ausschließlich Märtyrern vorbehalten gewesen, die ihr Leben für den Glauben an Christus gaben, so führt die veränderte gesellschaftliche Situation, in der das Christentum Zug um Zug von der verfolgten Minderheit zur Staatsreligion wird, zu einer Akzentverschiebung des Bildes vom Heiligen. Neben das Martyrium tritt eine neue Form der Heiligkeit und ihr Prototyp ist der Heilige Martin.

Seine Heiligen- und Berufungsgeschichte zeigt etwas davon, dass ein altes Bild sozusagen umgedreht wird: Martin ist römischer Soldat, gehört der berittenen kaiserlichen Garde in Amiens an. Das ist familiär so vorgegeben: schon sein Vater war Offizier und so musste auch der Sohn in den Dienst der kaiserlichen Armee eintreten - wider Willen.

In der berühmten Szene, die vor den Toren von Amiens verortet wird, teilt Martin seinen Mantel mit dem Schwert und gibt dem frierenden Bettler die Hälfte seines Mantels. Bis heute kennt diese Geschichte jedes Kind und die Vielen, die in diesen Tagen an den Martinsspielen teilnehmen, können etwas davon erahnen, wie Martin mit seinem Handeln das Bild dessen, was er sein will und muss, "vom Kopf auf die Füße" stellt. Sulpicius berichtet in seiner Lebensbeschreibung des Heiligen Martin genau diesen Moment und die Erkenntnis des Martin folgendermaßen. Martin begegnet dem Kaiser, gibt ihm sein Schwert zurück und sagt: "Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen." Der waffenlose Kampf, der Einsatz für die Schwachen im Hören auf das Wort und den Anruf Gottes, ist es, der für Martin zum neuen Leitbild seines Lebens wird. Darin ist er Generationen von Christinnen und Christen zum Vorbild geworden.

Und auch uns kann die altbekannte Geschichte des Heiligen Martin heute diese Frage stellen: Entsprechen wir unserer Berufung als Christinnen und Christen? Setzen wir uns für Gerechtigkeit ein? Teilen wir, wo das möglich und nötig ist? Schenken wir Wärme im kalten Winter unserer Zeit? Eine Chance, mal zu kontrollieren, ob unser eigenes Leitbild richtig herum und gerade hängt.

Herzliche Grüße,
Alexander Jaklitsch, Pastoralreferent